Example in this ebook
Vor ein paar Tagen sagte ich zu meiner Frau: „Ich fühle noch nicht die nötige Andacht zu dem neuen Buche, das ich schreiben will.“
Und während ich dies sagte, erinnerte ich mich dabei an jene japanische Dichterin, die, um die nötige Weihe für ein großes Werk zu empfangen, sich in einen Tempel einschließen ließ und nachts in dem einsamen Tempelraum auf dem Deckel eines Gebetbuches die Niederschrift ihrer dichterischen Eingebungen begann.
Der deutsche Übersetzer ihres Buches, der diesen Vorfall in der Einleitung berichtet, fügte hinzu: „Wo wäre heutzutage in Europa der Dichter zu finden, der eine ähnliche Vorbereitung für ein Buch nötig fände?“
Wie wenig kannte doch der Mann die Dichterherzen aller Zeiten!
Wo große Werke entstanden, sind auch die Männer, die diese schufen, immer mit herzklopfender Andacht an ihr Schaffen herangetreten.
Wenn sich die Dichter auch nicht in die Sakristeien der Kirchen zurückgezogen haben, so ist doch immer jeder ihrer geistigen und ernsten Arbeiten eine seelische und körperliche Kasteiung vorausgegangen.
Jeder künstlerische Schöpfungsakt wird durch Entsagungsakte vorbereitet. Der Beispiele sind viele, und wer die Geschichte der Zeiten verfolgt, wird immer wieder auf diese Vorbereitungen stoßen, Vorbereitungen voll innerster Andacht, die jedem bleibenden Werk vorangehen müssen.
Als ich nun meiner Frau neulich gestehen mußte, daß ich mich noch nicht andächtig genug fühle, das neue Buch zu beginnen, das meine Kameraden und mich in der Zeit der neunziger Jahre (1890–1900) in unseren Begegnungen und im Ringen um neue Ideale schildern soll, und als ich sagte, daß ich noch nicht die Weihe zur Mitteilung dieses Lebensabschnittes hätte — dessen Aufzeichnungen eine Art Fortsetzung meines letzten Buches „der Geist meines Vaters“ werden sollten —, da ahnte ich in meiner Niedergeschlagenheit nicht, auf welche seltsame Weise mir mein Schicksal die Weihe zu dieser Arbeit erteilen würde.
Seit zwei Jahren ungefähr trage ich den Wunsch, dieses Buch zu schreiben, mit mir herum.
Seit das erste Jahrzehnt unseres neuen Jahrhunderts vollendet war und ich bei mir bemerkte, wie schnell wir uns von einem vergangenen Jahrhundert entfernen, und wie viele Lebensäußerungen in die Vergessenheit sinken und verloren gehen können, wenn sie nicht in schriftlicher Erinnerung aufgespeichert und damit der Nachwelt wieder zugänglich gemacht werden, — seit ich also wahrnahm, daß auch das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts bereits in meiner Erinnerung zu verblassen begann, drängte es mich, das starke Dichterleben dieser neunziger Jahre, das reich an neuen Idealen, reich an großen Geistern war, in Aufzeichnungen für mich festzulegen.
Ich kann in diesem Buche, sagte ich mir, nur den bescheidenen Teil, der vom Jahrhundertende mit meiner Person zusammenhängt, wiedergeben. Aber es werden sich daraus für den Leser von selbst anziehende Fernblicke auf die ganze Dichterwelt der neunziger Jahre öffnen, und mancher junge Dichter findet vielleicht dann ein besseres Verständnis für seine eigene Zeit, wenn er einen Ausschnitt aus jener, die deutsche Dichtung so umwälzenden Vergangenheit nacherlebt.
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Vor ein paar Tagen sagte ich zu meiner Frau: „Ich fühle noch nicht die nötige Andacht zu dem neuen Buche, das ich schreiben will.“
Und während ich dies sagte, erinnerte ich mich dabei an jene japanische Dichterin, die, um die nötige Weihe für ein großes Werk zu empfangen, sich in einen Tempel einschließen ließ und nachts in dem einsamen Tempelraum auf dem Deckel eines Gebetbuches die Niederschrift ihrer dichterischen Eingebungen begann.
Der deutsche Übersetzer ihres Buches, der diesen Vorfall in der Einleitung berichtet, fügte hinzu: „Wo wäre heutzutage in Europa der Dichter zu finden, der eine ähnliche Vorbereitung für ein Buch nötig fände?“
Wie wenig kannte doch der Mann die Dichterherzen aller Zeiten!
Wo große Werke entstanden, sind auch die Männer, die diese schufen, immer mit herzklopfender Andacht an ihr Schaffen herangetreten.
Wenn sich die Dichter auch nicht in die Sakristeien der Kirchen zurückgezogen haben, so ist doch immer jeder ihrer geistigen und ernsten Arbeiten eine seelische und körperliche Kasteiung vorausgegangen.
Jeder künstlerische Schöpfungsakt wird durch Entsagungsakte vorbereitet. Der Beispiele sind viele, und wer die Geschichte der Zeiten verfolgt, wird immer wieder auf diese Vorbereitungen stoßen, Vorbereitungen voll innerster Andacht, die jedem bleibenden Werk vorangehen müssen.
Als ich nun meiner Frau neulich gestehen mußte, daß ich mich noch nicht andächtig genug fühle, das neue Buch zu beginnen, das meine Kameraden und mich in der Zeit der neunziger Jahre (1890–1900) in unseren Begegnungen und im Ringen um neue Ideale schildern soll, und als ich sagte, daß ich noch nicht die Weihe zur Mitteilung dieses Lebensabschnittes hätte — dessen Aufzeichnungen eine Art Fortsetzung meines letzten Buches „der Geist meines Vaters“ werden sollten —, da ahnte ich in meiner Niedergeschlagenheit nicht, auf welche seltsame Weise mir mein Schicksal die Weihe zu dieser Arbeit erteilen würde.
Seit zwei Jahren ungefähr trage ich den Wunsch, dieses Buch zu schreiben, mit mir herum.
Seit das erste Jahrzehnt unseres neuen Jahrhunderts vollendet war und ich bei mir bemerkte, wie schnell wir uns von einem vergangenen Jahrhundert entfernen, und wie viele Lebensäußerungen in die Vergessenheit sinken und verloren gehen können, wenn sie nicht in schriftlicher Erinnerung aufgespeichert und damit der Nachwelt wieder zugänglich gemacht werden, — seit ich also wahrnahm, daß auch das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts bereits in meiner Erinnerung zu verblassen begann, drängte es mich, das starke Dichterleben dieser neunziger Jahre, das reich an neuen Idealen, reich an großen Geistern war, in Aufzeichnungen für mich festzulegen.
Ich kann in diesem Buche, sagte ich mir, nur den bescheidenen Teil, der vom Jahrhundertende mit meiner Person zusammenhängt, wiedergeben. Aber es werden sich daraus für den Leser von selbst anziehende Fernblicke auf die ganze Dichterwelt der neunziger Jahre öffnen, und mancher junge Dichter findet vielleicht dann ein besseres Verständnis für seine eigene Zeit, wenn er einen Ausschnitt aus jener, die deutsche Dichtung so umwälzenden Vergangenheit nacherlebt.
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