Dieser Aufsatz soll nicht von „gelehrten Sachen" handeln. Denn die beschäftigen uns, scheint mir, fast zu viel. Wir haben enorm viel Kenntnisse. Wir haben schrecklich viel gelesen. Und gewöhnlich schleppen wir diese Kenntnisse als Ballast mit uns. Sie hindern uns nur, unser eigenes Gehirn in normaler Weise functionieren zu lassen. So wie jemand von den Gelehrten sagte, man müsse sie erst ihrer Wissenschaft entkleiden, um ihnen den gesunden Menschenverstand wiederzugeben.
Mit der Kunst wenigstens, von der ich sprechen möchte — Fachsimpler sind wir ja alle — ist es seltsam gegangen. Wenn ich Unter den Linden spazieren gehe und ein hübsches Mädchen mir begegnet, dann denke ich ganz mechanisch: Donnerwetter, das hübsche Kind ! Um das festzustellen, brauche ich in keine Bibliothek zu gehen und keine Bücher über Frauenschönheit nachzulesen, auch den Geburtstag und die Lebensverhältnisse des Mädchens nicht zu kennen. Der Gedanke kommt mir ganz unwillkürlich, als reine Reflexbewegung. Einem Bilde gegenüber brauchte das nicht anders zu sein. Ich sehe eines, es gefällt mir, nun dann freue ich mich daran. Gefällt es mir so gut, dass ich mich nicht davon trennen kann, und habe ich das Geld dazu, was auch eine Rolle spielt, dann kaufe ich es mir. Manchmal kann
ich auch einem Mädchen sagen: Das steht Dir gut, kaufe Dir diesen Hut, kaufe Dir dieses Kleid. Und ganz ebenso kann ich einem Künstler sagen: Ich denke mir etwas Schönes, aber ich kann es nicht machen, Du bist la Künstler, bitte, mache es mir.
Nicht anders war eigentlich das Verhältnis der Menschen zur Kunst von Ramses und Perikles bis auf Leo X. und die Pompadour. Der eine war ruhmgierig. Noch lange nach seinem Tode sollten die Menschen von ihm sprechen. Also beschäftigte er vierzig Jahre lang tausend Sclaven, damit sie die Pyramide errichteten, in der er ruhen konnte. Der andere war fromm — oder seine Stellung verlangte es — also liess er eine Kirche erbauen, grösser und schöner als alle Kirchen der Welt. Der dritte hatte das Bedürfnis, früh, wenn er aufstand, sich an schönen Farben, an edlen Linien zu freuen, also hieng er in sein Schlafzimmer ein Bild, ein wirkliches Kunstwerk, das vielleicht viel kostete, ihm aber auch Freude, viele Freude gab. Die Pompadour als königliche Maitresse hielt auf ihr Aeusseres, sie brauchte schöne Ringe und geschmackvolle Kleider, eine aparte Frisur und feine Möbel. Also liess sie den Künstler kommen und sagte ihm: ich brauche das, Du bist Künstler, bitte, mach' mir's. Und wohlgemerkt, das alles war nicht getrennt. Ramses, der die Pyramide bauen liess, besass, wie die ägyptischen Gräberfunde lehren, auch schöne Agraffen und Ringe. Leo X, sah auf sein Tafelservice ebenso wie auf die Kuppel der Peterskirche, und die Pompadour hatte nicht nur Pompadour-Roben, auch Bilder von den ersten Meistern ihrer Zeit. Die Menschen umgaben sich mit schönen Dingen, einfach weil ihr Wohlbefinden es forderte.
Für den Künstler aber hatte das die selbstverstän d-liche Folge, dass er ein Allerweltskerl war, der alles konnte. Es gab damals kein abgegrenztes Fach, keine „hohe" und „niedere" Kunst. Holbein hat die Bildnisse, die er am englischen Hofe malte, nicht nur gemalt. Der ganze König, wie er dasteht, ist eine Schöpfung Holbeins. Denn Holbein hat das Barett gesteckt und die Agraffe gezeichnet, die bunten Steine für den Gürtel gewählt und den Schwertgriff entworfen. Das Bett, in dem Heinrich schlief, die Gläser, aus denen er trank, seine Uhren, seine Möbel, seine Leuchter — alles war von Holbein. Desgleichen hat Boucher nicht nur den Wagen entworfen, in dem die Marquise fuhr, er hat auch die Tischkarten gezeichnet, wenn sie Soupers gab, hat für ihr Liebhabertheater die Decorationen gemalt und den kleinen Balleteusen, die in den Stücken auftraten, die Gostüme geschneidert. Decorateur und Schreiner, Juwelier und Modist — alles war in der Person eines einzigen Mannes vereinigt. Und aus diesem Zusammenwirken der Künste erklärt sich der einheitliche Stil, ...
Mit der Kunst wenigstens, von der ich sprechen möchte — Fachsimpler sind wir ja alle — ist es seltsam gegangen. Wenn ich Unter den Linden spazieren gehe und ein hübsches Mädchen mir begegnet, dann denke ich ganz mechanisch: Donnerwetter, das hübsche Kind ! Um das festzustellen, brauche ich in keine Bibliothek zu gehen und keine Bücher über Frauenschönheit nachzulesen, auch den Geburtstag und die Lebensverhältnisse des Mädchens nicht zu kennen. Der Gedanke kommt mir ganz unwillkürlich, als reine Reflexbewegung. Einem Bilde gegenüber brauchte das nicht anders zu sein. Ich sehe eines, es gefällt mir, nun dann freue ich mich daran. Gefällt es mir so gut, dass ich mich nicht davon trennen kann, und habe ich das Geld dazu, was auch eine Rolle spielt, dann kaufe ich es mir. Manchmal kann
ich auch einem Mädchen sagen: Das steht Dir gut, kaufe Dir diesen Hut, kaufe Dir dieses Kleid. Und ganz ebenso kann ich einem Künstler sagen: Ich denke mir etwas Schönes, aber ich kann es nicht machen, Du bist la Künstler, bitte, mache es mir.
Nicht anders war eigentlich das Verhältnis der Menschen zur Kunst von Ramses und Perikles bis auf Leo X. und die Pompadour. Der eine war ruhmgierig. Noch lange nach seinem Tode sollten die Menschen von ihm sprechen. Also beschäftigte er vierzig Jahre lang tausend Sclaven, damit sie die Pyramide errichteten, in der er ruhen konnte. Der andere war fromm — oder seine Stellung verlangte es — also liess er eine Kirche erbauen, grösser und schöner als alle Kirchen der Welt. Der dritte hatte das Bedürfnis, früh, wenn er aufstand, sich an schönen Farben, an edlen Linien zu freuen, also hieng er in sein Schlafzimmer ein Bild, ein wirkliches Kunstwerk, das vielleicht viel kostete, ihm aber auch Freude, viele Freude gab. Die Pompadour als königliche Maitresse hielt auf ihr Aeusseres, sie brauchte schöne Ringe und geschmackvolle Kleider, eine aparte Frisur und feine Möbel. Also liess sie den Künstler kommen und sagte ihm: ich brauche das, Du bist Künstler, bitte, mach' mir's. Und wohlgemerkt, das alles war nicht getrennt. Ramses, der die Pyramide bauen liess, besass, wie die ägyptischen Gräberfunde lehren, auch schöne Agraffen und Ringe. Leo X, sah auf sein Tafelservice ebenso wie auf die Kuppel der Peterskirche, und die Pompadour hatte nicht nur Pompadour-Roben, auch Bilder von den ersten Meistern ihrer Zeit. Die Menschen umgaben sich mit schönen Dingen, einfach weil ihr Wohlbefinden es forderte.
Für den Künstler aber hatte das die selbstverstän d-liche Folge, dass er ein Allerweltskerl war, der alles konnte. Es gab damals kein abgegrenztes Fach, keine „hohe" und „niedere" Kunst. Holbein hat die Bildnisse, die er am englischen Hofe malte, nicht nur gemalt. Der ganze König, wie er dasteht, ist eine Schöpfung Holbeins. Denn Holbein hat das Barett gesteckt und die Agraffe gezeichnet, die bunten Steine für den Gürtel gewählt und den Schwertgriff entworfen. Das Bett, in dem Heinrich schlief, die Gläser, aus denen er trank, seine Uhren, seine Möbel, seine Leuchter — alles war von Holbein. Desgleichen hat Boucher nicht nur den Wagen entworfen, in dem die Marquise fuhr, er hat auch die Tischkarten gezeichnet, wenn sie Soupers gab, hat für ihr Liebhabertheater die Decorationen gemalt und den kleinen Balleteusen, die in den Stücken auftraten, die Gostüme geschneidert. Decorateur und Schreiner, Juwelier und Modist — alles war in der Person eines einzigen Mannes vereinigt. Und aus diesem Zusammenwirken der Künste erklärt sich der einheitliche Stil, ...